Redebeitrag auf der Frauen*kampftagsdemo: My body, my choice

Wir von Stella Nigra sind Anarchist*innen. Das bedeutet wir haben den Anspruch konsequent alle Formen von Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung nicht nur zu kritisieren, sondern sie zu überwinden – und deswegen sind wir heute hier.

Wir möchten in einer Gesellschaft leben, in der nicht nach starken Männern gefragt wird um Kisten zu tragen. In der wir nicht als „Heulsuse“ beschimpft werden, wenn wir weinen oder gefragt werden, ob wir unsere Tage haben. Wir möchten keine Tabuisierung von Menstruation und Menstruationsbeschwerden, keine Steuern auf Menstruationsartikel und keine Tabuisierung weiblich gelesener Geschlechtsorgane. Wir möchten in einer Gesellschaft leben, in der uns nicht hinterhergepfiffen wird, wenn wir über die Straße gehen. In der von uns nicht wie selbstverständlich hormonelle Verhütung verlangt wird. Oder, dass Männer uns als Sexobjekte wahrnehmen. Oder, dass wir für andere “gut” auszusehen haben, nur weil wir Frauen sind. Wir möchten in einer Gesellschaft leben in der wir als Frau in einem Gespräch nicht weniger ernstgenommen werden als als Mann. Wir möchten eine Gesellschaft ohne die Annahme, zwischen Frauen und Männern könne keine Freundschaft bestehen. Wir möchten, dass wir uns in erster Linie als Menschen begegnen ohne nach Geschlecht zu kategorisieren, auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt.

Vor allem möchten wir eine Gesellschaft ohne Bezahlungsunterschiede zwischen männlich und weiblich gelesenen Personen, und mit gerechter Verteilung der zusätzlichen Haus- und Pflegearbeit, die bisher vor allem von Frauen erwartet wird. Zumindest, bis es eine Gesellschaft gibt, in der alles allen gehört, jede*r nur noch arbeitet so viel sie*er möchte und niemand mehr bezahlen muss! Wir möchten in einer Gesellschaft leben in der Betroffenen sexualisierter Gewalt, derzeit vor allem Frauen und Queers, geglaubt wird und in der die Täter*innen, derzeit vor allem Cis-Männer, Konsequenzen erfahren. Noch besser, in einer, in der so etwas einfach nicht mehr passiert. Also einer in der deutlich größerer Wert darauf gelegt wird, dass alle Menschen Konsens in Beziehungen und Respekt vor den Grenzen anderer lernen.

Kurz: Wir möchten in einer Gesellschaft leben, aus der Sexismus und Patriarchat, die derzeit bis in die kleinsten Details unserer Leben hineinreichen, endlich verschwunden sind!

Wir möchten eine freie Gesellschaft, in der Menschen die Kontrolle über ihren eigenen Körper nicht entzogen wird. Illegalität von Schwangerschaftsabbrüchen sorgt dafür, dass jährlich weltweit bis zu 23,000 Menschen an unsicheren Bedingungen sterben, Millionen werden teils schwer und dauerhaft verletzt. Auch hier sind Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor nicht wirklich legal. Ein Gesetzesrelikt von 1871, der Paragraph 218, beschert uns, dass Abtreibung in Deutschland immer noch strafbar ist. Der Staat sieht nur unter bestimmten Umständen “gnädigerweise” von der Strafverfolgung ab.
In den letzten Monaten wurde massiv der Paragraph 219a diskutiert, der Ärzt*innen vorschrieb nicht öffentlich darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. CDU und AfD wollen diesen Paragraphen behalten. Wir stimmen der Pro Familia-Kampagne gegen den Paragraphen 219a zu. Sexuelle Selbstbestimmung ist nicht verhandelbar, weg mit dem Gesetz! Und wir ergänzen: weg mit dem Paragraphen 218! Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Verbrechen, sondern Menschenrecht! Unsere Körper gehören nicht Deutschland – sondern allein uns!

Ebenfalls weg muss der mit einem Abbruch verbundene soziale Druck und die Stigmatisierung, die durch Abtreibungsgegner*innen verstärkt werden. An der Speerspitze dieser Frauen entmündigenden Bewegung sind häufig christliche Fundamentalist*innen und Rechtsradikale – oft auch beides gleichzeitig. Das lässt sich etwa am Trierer AfD-Chef beobachten, der hier auch der sogenannten “Aktion Lebensrecht für alle” vorsteht. Solche selbst ernannten “Lebensschützer*innen” interessieren sich allerdings nur für ungeborenes Leben. Die psychischen und physischen Folgen, die eine Schwangerschaft, vor allem eine ungewollte, haben kann, müssen sie ja nicht selbst ausbaden. Aber auch soziale Unterschiede unter denen viele Kinder hierzulande leiden, sind ihnen völlig egal. Gerade Alleinerziehende, Geflüchtete, Patchwork- oder Regenbogenfamilien haben von ihnen keine Hilfe, sondern nur Anfeindungen zu erwarten.

Wir möchten nicht nur in einer Gesellschaft leben in der Schwangerschaftsbbrüche legal, normal und entabuisiert sind, sondern genauso auch in einer, in der schwangeren Frauen, Transmännern, Non binary- oder Interpersonen sowie ihren Partner*innen kein Nachteil entsteht, wenn sie sich für ein Kind entscheiden. In der Kinder nicht soziale Isolation oder finanzielle Katastrophe bedeuten. In der es nicht an einer romantisierten Kleinfamilie liegt, sich um Kinder zu kümmern, sondern an allen gemeinsam. Und in der Kinder nicht als Mittel zum Zweck gesehen werden, nicht als zukünftige human ressources, Menschenmaterial am Arbeitsplatz oder Steuerzahler*innen, Kanonenfutter in der Armee oder Gebärmaschinen der nächsten Generation gelten. Sondern als geliebte Mitmenschen, die selbst entscheiden können, wer oder was sie sein und wie sie leben wollen.

Für all das lohnt es sich, zu kämpfen und auf die Straße zu gehen.
Danke, dass ihr mit uns hier und laut seid!

Wir solidarisieren uns auch mit der anarchistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter*innen Union, die heute in vielen Städten feministische Streiks organisiert hat und mit allen anderen, die heute und jeden Tag für eine freie, emanzipierte Gesellschaft fern von Patriarchat, Rassismus, Kapitalismus und anderer Herrschaft kämpfen.
Liebe, Freiheit, Allen Alles!