Redebeitrag zum Weltfrauenkampftag 2020

Hallo liebe Freund*innen und Genoss*innen,

wir sprechen heute für das anarchistische Kollektiv Trier – Stella Nigra, organisiert in der Plattform und sind über die Klimagerechtigkeitsbewegung, antifaschistische & antirassistische Kämpfe, sowie weiteren sozialen Bewegungen auch und vor allem in anarcha- & queerfeministischen Zusammenhängen aktiv.

Anarchafeminismus bedeutet so viel mehr, als ab und an, wenn mensch daran denkt, geschlechterneutrale Sprache zu verwenden und auch als Mann mal den Abwasch zu machen. Anarchafeminismus heißt auch nicht, das Problem auf Politiker*innen und die anderen abzuwälzen.  Anarchafeminismus heißt für uns, im Alltag, in unseren politischen Kontexten, in der Schule oder auf der Arbeit, immer und überall das Patriarchat zu hinterfragen, zu kritisieren und zu überwinden. Mit dem Patriarchat meinen wir die Unterdrückung von allem, was nicht „männlich“ genug ist. Frauen, Inter*, Trans*personen und Menschen, die sich nicht in das binäre Geschlechtersystem von Mann und Frau einordnen, verdienen weniger, werden öfter beim Sprechen unterbrochen und nicht ernstgenommen, kümmern sich häufiger um Kinder und spülen mehr Geschirr, werden wahrscheinlicher Opfer von häuslicher Gewalt oder Vergewaltigungen,… wir können hier nicht alles aufzählen, denn die Liste ist fast unendlich lang. Doch unsere Gesellschaft belässt es nicht allein beim Sexismus: auch rassistische Unterdrückung aufgrund von Hautfarbe und vermeintlicher Herkunft oder der Zwang, die eigene Arbeitskraft an Kapitalist*innen zu verkaufen sind der Alltag vieler Frauen und Queers. 

Es geht uns nicht darum, dass wir uns als Frauen und Queers im bestehenden ausbeuterischen und unterdrückenden, sprich im kapitalistischen System emanzipieren und bequem einrichten. Es geht uns auch nicht darum, uns einzeln eine bessere Position zu erkämpfen. Wir Anarchist*innen lehnen jede Form von Herrschaft ab und sind davon überzeugt, um es mit den Worten von Carol Hanisch zu sagen, dass es keine persönlichen Lösungen gibt, sondern nur eine kollektive Aktion für eine kollektive Lösung2;3. Das bedeutet sowohl Emanzipation auf gesellschaftlicher Ebene z.B. im Alltag, im Freund*innenkreis, in der Familie, als auch gemeinsamen -und eben nicht cis-männlich dominierten- Klassenkampf zu betreiben z.B. im Betrieb, für bezahlbaren Wohnraum oder auch gegen Altersarmut. Auf diese Art können wir feministische und anarchistische Ansätze vereinen und verbreiten. Ein Beispiel dafür liefert etwa der Aktivismus der libertären feministischen Organisation La Alzada in Chile4, die sich an einem zunächst männlich dominierten Streik von Hafenarbeiter*innen beteiligt und dort mit den Streikenden die feministisch relevanten Aspekte herausgearbeitet hat, wodurch die Bewegung enorm gestärkt und für die nicht-männlichen Arbeiterinnen* attraktiver wurde.

Unserer Analyse nach beinhaltet konsequenter Anarchismus unbedingt auch Feminismus. Somit ist der Anarchafeminismus eine Erweiterung des herkömmlichen Feminismus, welcher nur eine spezifische Form von Herrschaft – nämlich den Sexismus gegenüber Frauen und Queers – ablehnt. Der Anarchafeminismus bezieht weitere Kämpfe und gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen, wie Rassismus, Klassismus & ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, mit ein. Wir wollen also nicht nur den Kapitalismus überwinden, ohne dabei unsere Erziehung in einer patriarchalen, heteronormativen, binär-strukturierten und auch rassistischen Gesellschaft mitzudenken oder aber nur gegen Sexismus und Unterdrückung von Frauen und Queers kämpfen, ohne wirtschaftliche Ausbeutung und den unterdrückenden Staat anzugreifen. Es muss gegen all diese bestehenden Formen von Herrschaft und Unterdrückung gleichzeitig gekämpft werden, um ein freies Leben für alle Menschen zu ermöglichen.

 

Wir fordern daher:

  • Schluss mit der Rollenverteilung bei Care-&Reproduktionsarbeit! welche immer noch hauptsächlich von Frauen&Queers ohne Bezahlung und oft zusätzlich zur Lohnarbeit verrichtet wird – stattdessen streben wir eine Aufteilung für alle nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten an und die Berücksichtigung dieser Arbeitszeit&-kraft im Hinblick auf die Lohnarbeit
  • Umfangreiche Aufklärung der Gewalt gegen Frauen&Queers! -> mit Statistiken, die über die bisherigen binären und heteronormativen Erhebungen hinausgehen – unsere Antwort auf patriarchale Gewalt und Femizide ist der organisierte Widerstand!
  • Den Ausbau der geschlechterspezifischen Gesundheitsforschung&-förderung! -> sodass Medikamente auch an den Personen getestet werden, bei denen sie später angewendet werden und nicht wie bisher üblich nur an Männern, was aufgrund der hormonellen Unterschiede fatale bis tödliche Auswirkungen bei Frauen*, Trans* und Inter*Personen hat – die von Gesundheitsminister Jens Spahn 2018 dafür zur Verfügung gestellten 3,5 Millionen Euro sind lächerlich und absolut nicht ausreichend!
  • Weg mit Paragraph 218&219 – für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung! Wir dulden nicht länger ein Gesetz, was von nationalsozialistischen Männern erlassen wurde! Grade in Trier ist die Lage äußerst kritisch, da die katholische Kirche großen Einfluss auf Krankenhäuser und die allgemeine medizinische Versorgung hat, es gibt keine einzige Anlaufstelle für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen hier!
  • Außerdem fordern wir frei zugängliche Verhütungsmittel und die Pille danach für alle Menschen, sowie kostenlose und nicht-gesundheitsschädliche Menstruationsartikel!
  • Antisexistische Aufklärung und Bildung, sowie gesellschaftliche Enttabuisierung von Sexualität und Geschlechtsidentität, sowie die Überwindung von patriarchalen Schönheitsidealen!

Wir rufen alle Frauen&Queers dazu auf:

  • Organisiert euch und bildet Banden!
  • Bildet euch selbst und einander, schafft Räume des Austauschs und Rückhalts – auch zusammen mit euren männlich-sozialisierten Freunden, Kollegen und Genossen!
  • Überwindet Differenzen und kämpft gemeinsam gegen patriarchale Strukturen und kapitalistische Ausbeutung!
  • Bringt feministische Ansätze in Fragen des Alltags oder soziale Bewegungen ein!
  • Achtet auf die Betroffenheit in eurem Umfeld, wehrt euch gemeinsam gegen Rassismus&Sexismus!
  • Und zu guter Letzt: kommt am 29.3. um 16 Uhr in die Raute (Weberbach 72) zu unserem Schnupperplenum zu Anarchafeminismus!